Wenn man mal eine Spinne fotografiert

Schon einmal vom Silbergras-Sandhockling gehört? Hatte ich auch nicht - bis sich dieses unscheinbare Wesen vor ein paar Tagen im wahrsten Sinne des Wortes vor meine Linse hockte. Ein guter Anlass für ein paar Zeilen zu dieser etwas anderen Beobachtung.

Unterwegs war ich in den Twiebergen. Twieberge bzw. „Twiebarg“ kommt aus dem Plattdeutschen und steht für – naheliegend - zwei Berge. Im flachländischen Kontext ist dies die eher hyperbolische Beschreibung für eine maximal 28 m hohe Erhebung nacheiszeitlichen Ursprungs in einer sonst weitläufigen Flusslandschaft mitten in Schleswig-Holstein, die zum Teil sogar unter dem Meeresspiegel liegt. Als kleines Naturdenkmal geschützt liegen die Twieberge relativ unscheinbar an der B202 nahe der Ortschaft Norderstapel, etwa auf halber Strecke zwischen St.Peter-Ording und Kiel.

Die südliche Exposition, der vorwiegend sandige Boden sowie eine extensive Beweidung begünstigen hier das Vorkommen von Trockenrasen. Diese Lebensräume sind hier oben im nördlichsten Bundesland eher spärlich zu finden und stellen gleichzeitig in den Sommermonaten immer eine gute Adresse dar, um nach ihren wärmeliebenden Bewohnern zu suchen. Da ich sowieso in der Nähe war, wollte ich mir spontan etwas Zeit dafür nehmen. Es war jedoch ein windiger, bewölkter Tag und ich schon fast wieder auf dem Rückzug, als ich an einer kleinen Abbruchkante nahe des Weges ein paar Grabwespen entdeckte. Diese verschwanden allerdings immer zu schnell für ein Foto in ihren Höhlen. Also setzte ich mich davor und wartete…

Eine Grabwespe der Gattung Lestica am Eingang ihrer Höhle.

… bis plötzlich eine Springspinne direkt neben einer der anvisierten Höhlen im Sucher erschien. Sie war nur etwa 4 mm groß und hob sich farblich so gut wie gar nicht vom sandigen Untergrund ab. Ein Tier also, an dem ich mit großer Sicherheit in zehn von zehn Fällen vorbeigelaufen wäre.

Sehr gut getarnt im Sand: Attulus distinguendus.

Zugegebenermaßen gehören Spinnen auch generell nur selten zu meinen tierischen Motiven. Aber so ließ sie mir kaum eine Wahl und allein ihre gute Tarnung fand ich fotografisch direkt reizvoll. Dazu kam, dass sie mir schnell ihre für Springspinnen typischen und besonders fotogenen Linsenaugen präsentierte. Ich war überzeugt.

Die typischen Linsenaugen machen Springspinnen vor allem in Frontalansicht zu einem Hingucker.

Lediglich zur genauen Bestimmung der Art konnte ich in diesem Moment noch gar nichts sagen. Mangels geeigneter Literatur forschte ich zu Hause ein wenig im Internet, befragte Freunde und stellte ein paar Fotos in das Citizen Science-Portal iNaturalist ein. Und genau hier sollte mir bald geholfen werden (Danke dafür!): bei der von mir gefundenen Springspinne handelte es sich um ein Weibchen von Attulus distinguendus, einer in Schleswig-Holstein sehr seltenen und laut Roter Liste vom Aussterben bedrohten Art, die auf den klangvollen deutschen Namen „Silbergras-Sandhockling“ hört. Ein Blick in den Online-Atlas der Spinnentiere Europas zeigt, dass der letzte (dort gemeldete) Fund in Schleswig-Holstein ganze fünf Jahre zurückliegt und noch dazu aus einem anderen Gebiet stammt.

Eine wirklich spannende Zufallsbeobachtung also, die bei mir definitiv Lust auf mehr aktive Springspinnensuche in der Umgebung macht. Gleichzeitig zeigt sie auch deutlich, dass jeder Laie (und als solchen sehe ich mich bei Spinnen definitiv) wertvolle Daten zur Biodiversität sammeln kann, wenn er oder sie nur weiß, wo man gut dokumentierte Beobachtungen melden und Bestimmungshilfe finden kann.

Wer weiß, wann zuletzt in den Twiebergen nach Spinnen gesucht wurde… auch so lässt sich ein klein wenig zu ihrem Schutz beitragen!

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